Die zehnte Runde des WM-Finales ging ebenfalls Remis aus. Noch zwei Partien bevor eventuell Schnellschach- oder Blitz-Stichkämpfe über den neuen Weltmeister entscheiden müssen!
Es kommentiert der DJEM-Trainer Klaus Friedrichs.

WM-Finale 2012, Viswanathan Anand - Boris Gelfand, Moskau.
Runde 10 (PGN-Download)


1. e4
Bis jetzt konnte Anand mit 1. d4 Gelfand mehr in Bedrängnis setzen, vor allem in der 8. Runde, in der er schon nach 17 Zügen gewann
(siehe Kommentare von Benjamin Tereick). Allerdings dürfte sich Gelfand daher auch hauptsächlich auf 1. d4 vorbereitet haben, was Anands Wahl für 1. e4 erklären könnte.}

1... c5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5
Anand läßt sich also nicht wie in der 5. Runde auf den offenen Sizilianer ein  (siehe Kommentare von Thomas Trella). Allerdings ist 3. Lb5 gegen Sizilianisch mit 2... Sc6 durchaus auch ein kritischer Zug und er hoffte vielleicht sich in diesem Stellungstyp besser auszukennen, nicht zuletzt da Gelfand in der Vergangenheit nur selten 2... Sc6 gespielt hatte. Nicht ganz ausschliessen kann man aber auch, dass Anand kurz vor Ende des Kampfes möglichst risikolos spielen will, um dann die Entscheidung im Tie-Break zu suchen, wo ihm als Schnellschach Experte deutlich bessere Chancen gegeben werden.

3... e6
Wenn Gelfand diese Stellung mal auf dem Brett hatte, hatte er sonst immer g6 oder d6 gespielt. Diese Partien liegen aber alle auch schon einige Jahre zurück.

4. Lxc6
Hier sind auch andere Züge möglich, aber dies ist die prinzipielle Fortsetzung. Ansonsten spielt Schwarz im nächsten Zug Sge7 und kann dann immer mit dem Springer auf c6 zurückschlagen.

4... bxc6 5. b3
Jetzt weicht auch Anand von seinen Vorgängerpartien ab, allerdings liegen auch diese schon ein paar Jahre zurück und b3 hat sich erst in letzter Zeit zur Hauptvariante entwickelt. Der Läufer hat auf b2 oder a3, von wo er den Bauern c5 angreift, seine optimalen Felder. Ein Nachteil von 5. b3 ist allerdings, dass der Bauer e4 ungedeckt bleibt.

5... e5
Gelfand hat seine Hausaufgaben gemacht. 5... e5 wurde bislang nur selten gespielt, scheint aber gut spielbar zu sein. Es ist nur ein Scheinbauernopfer, denn Schwarz gewinnt den Bauern e4 forciert zurück, wonach seine Läufer etwas befreit werden. Was Schwarz in diesem Stellungstyp vermeiden sollte, ist 5... d5 6. e5 und wenn Weiß es nun schafft noch c2-c4 zu spielen, ohne die Kontrolle über e5 zu verlieren, ist der Schwarze Läufer auf c8 für den Rest der Partie eingesperrt.

6. Sxe5 De7 7. Lb2 d6 8. Sc4 d5
Dieser Zug ist eine starke Neuerung. In einer Vorgängerpartie geschah 8... Dxe4 und nach 9. Se3 stand die Dame etwas ungemütlich auf der e-Linie.

9. Se3 d4 10. Sc4 Dxe4+ 11. De2 Dxe2+ 12. Kxe2
Die entstandene Stellung ist natürlich dank des schwarzen Doppelbauerns leicht besser für Weiß. Allerdings ist es schwer daraus Kapital zu schlagen, wie wir noch sehen werden.

12... Le6 13. d3 Sf6 14. Sbd2 O-O-O 15. The1 Le7 16. Kf1 The8 17. La3 Sd5
Der Springer strebt nach b4, von wo er den Druck auf c5 abmildert und außerdem die weißen Bauern a2 und c2 attackiert. Langsfristig muss Weiß dann sicher auf b4 schlagen, wonach der Doppelbauer aufgelöst wird.

18. Se4
Natürlich hätte Anand auch seinen Springer auf d2 lassen können, um die Möglichkeit zu behalten auf c4 mit diesem zurückschlagen zu können, aber wie soll er sonst Schwarz unter Druck setzen?

18... Sb4 19. Te2 Lxc4 20. bxc4
Jetzt hat auch Weiß einen Doppelbauern. Allerdings steht Weiß immer noch minimal besser, da sein Läufer nicht durch eigene Bauern blockiert ist. Für einen Sieg reicht es in dieser Stellung aber trotzdem nicht.

20... f5 21. Lxb4
Praktisch erzwungen, denn nach 21. Sg3 g6 würde der Springer schlecht stehen.

21... cxb4 22. Sd2 Ld6 23. Txe8 Txe8 24. Sb3 c5
Jetzt haben wir eine typische Stellung "Springer gegen schlechten Läufer" erreicht, die oft für die Springerpartei schon forciert gewonnen ist. In diesem konkreten Fall ist dies aber nicht der Fall, da Anand seine Stellung nicht weiter verstärken kann. Man beachte den schwarzen Bauern auf f5, der mit Hilfe des Läufers alle möglichen Einbruchsfelder des weißen Königs abdeckt. Anders wäre die Situation, wenn z.B. der Bauer statt dessen auf f4 und der weiße König auf f3 stehen würde. Dieser könnte später nach e4 einbrechen, was Weiß den Sieg sichern sollte. Der weiße Springer steht auf b3 schon optimal, die einzige Chance für Anand bleibt also die Aktivierung seines Turms.

25. a3 bxa3 26. Txa3
Nun ist der weiße Turm zwar aktiviert, aber Schwarz hat auch einen Freibauern, der diesen auch wieder bindet. Daher bot Anand Remis und Gelfand nahm an. Meiner Meinung nach hätte Anand aber ruhig noch ein paar Züge machen können.
[Eine mögliche Folge ist 26. Txa3 Kb7 27. Ta5 a6 Am genauesten: Der weiße Turm wird nicht nach b5 gelassen. Weiß darf den Bauern auf c5 nicht schlagen und ansonsten kann er seine Stellung nicht weiter verstärken. (Ein Fehler wäre das natürlich aussehende 27... Kb6, denn nach 28. Tb5+ Kc6 29. Sa5+ Kd7 30. Tb7+ gewinnt Weiß den Bauern a7.)
28. Sxc5+ Ohne diesen Fehler ist die Stellung natürlich Todremis. Kb6 29. Sb3 Lb4 Droht Matt! 30. Ta1 Lc3 Auf einmal ist der schlechte schwarze Läufer stark geworden. Er hat die wichtigen Felder e1 und a1 unter Kontrolle. Gleich kann der a-Bauer loslaufen und es ist bereits Weiß der um das Remis kämpfen muss.]