In der achten Runde siegt Anand mit Weiß über Gelfand und gleicht damit wieder aus. Bereits im 17. Zug gab Gelfand sich nach einem Einsteller geschlagen. Diesmal kommentiert der DJEM-Trainer Benjamin Tereick.

WM-Finale 2012, Viswanathan Anand - Boris Gelfand, Moskau.

Runde 8 (PGN-Download)


1. d4
Nach dem Ausflug zu seiner alten Hauptwaffe 1. e4 in der 5. Runde kehrt Anand wieder zu 1.d4 zurück. Generell wurde in den WM-Matches seit 2006 beinahe ausschließlich 1. d4 gespielt. Die einzige Ausnahme stellt die letzte Partie des Matches Anand-Kramnik in Bonn 2008 dar: Anand brauchte, mit Weiß spielend, ein Remis zum Matchsieg. Es wird interessant zu sehen sein, ob Anand noch einmal zu 1. e4 zurückkehrt. Womöglich wird er das, wenn sein Team genug Zeit hatte, einen Weg zu finden, Gelfand im Sveshnikov-Sizilianer Probleme zu stellen.

1... Sf6 2. c4 g6 3. f3
(... und Anand verzichtet erneut auf die komplizierten Varianten nach 3. Sc3 d5 4. cxd5 Sxd5 5. e4 Sxc3 6. bxc3 Lg7 7. Lc4 c5 8. Se2 Sc6 9. Le3 O-O, die im Match Anand - Topalov 2010 diskutiert wurden.)

3... c5
(Die Idee des Zuges 3. f3 ist, dass nach dem grünfeldtypischen 3... d5 4. cxd5 Sxd5 5. e4 Schwarz nicht auf c3 tauschen kann. Weiß gewinnt somit Zeit für seine Entwicklung, während der schwarze Springer auf b6 nicht unbedingt glücklich steht. Auf der anderen Seite würde Weiß nach 6... Sb6 6. Sc3 Lg7 gerne früher oder später einen Springer auf f3 stellen, was durch den Zug f2-f3 verhindert oder zumindest sehr erschwert wird. Zudem schwächt der Zug 3. f3 etwas den weißen Königsflügel. Die Stellung wurde in der 3. Runde des Matches diskutiert. Anand ging hohe Risiken ein und konnte Gelfand etwas unter Druck setzen (siehe dazu auch die Kommentare von Tom Michalczak). Daher ist es nicht zu überraschend, dass Gelfand als erster abweicht.)

4. d5 d6 5. e4 Lg7
Nun ist eine Stellung enstanden, die eher typisch für die Benoni-Verteidigung 1. d4 Sf6 2. c4 c5 3. d5 und nun 3. e6 oder 3. g6 ist. Allerdings ist der Zug f2-f3 in diesen Strukturen nicht unbedingt optimal. Weiß würde lieber seinen Springer auf f3 haben oder sogar f2-f4 spielen. Ganz ähnliche Stellungen entstehen auch nach 1. d4 Sf6 2. c4 g6 3. Sc3 Lg7 4. e4 d6 5. f3, der sogenannten Sämisch-Variante in der Königsindischen Verteidigung, wenn Schwarz c7-c5 spielt und Weiß d4-d5.

6. Se2 O-O 7. Sec3
Anand versucht auszunutzen, dass er seinen Damenspringer im Gegensatz zur Sämischvariante noch nicht nach c3 entwickelt hat. Der Zug ist in gewisser Weise typisch für das computerunterstütze, sehr konkrete moderne Top-Schach, das sich sich nicht um elementare Prinzipien wie "Ziehe niemals eine Figur zweimal in der Eröffnung" schert. Die prinzipielle Idee ist aber nicht schwer zu verstehen: In der Sämischvariante steht der Springer auf e2 oft der weißen Entwicklung im Weg und wird umständlich über c1 nach d3 oder b3 oder über g3-h1 nach f2 entwickelt, wo er noch immer nicht unbedingt gut steht. Im Gegensatz dazu behindert der Springer b1 nur die Entwicklung des Turms a1, was nicht so sehr ins Gewicht fällt. Außerdem kann der Sb1 für Weiß gegen die beiden schwarzen Standardpläne nützlich werden: Versucht Schwarz, b7-b5 durchzusetzen, kann er dem auf a3 entgegenwirken. Spielt Schwarz hingegen e7-e6 und schlägt auf d5, kann Weiß mit dem c-Bauern wiedernehmen und den Springer über d2 oder a3 nach c4 entwickeln, wo er exzellent steht.

7... Sh5
Gelfand verlässt direkt die, ohnehin nicht allzu ausgetretenen, Hauptpfade und will Anands Vorbereitung aus dem Weg gehen. Mit 7. Sh5 versucht Schwarz zudem, die Schattenseiten von Weiß' langsamem Spiel aufdecken: Er will möglichst schnell die Stellung öffnen und nach f7-f5 oder e7-e6 seine Dame gegen den weißen König ins Spiel bringen.
(Zu 7... Sa6 vergleiche die Kommentare von Tom Michalczak zur 3. Matchpartie)

8. Lg5
verhindert zunächst einmal e7-e6

8... Lf6
erneut sehr konkret gespielt. Allerdings sieht es so aus, als wären die entstehenden Verwicklungen vorteilhaft für Weiß.
[Vermutlich hätte Schwarz 8... h6 9. Le3 (9. Lh4) 9... e6 versuchen sollen. Ich würde aber eher erwarten, dass Gelfand in einer weiteren Partie direkt auf Sh5 verzichtet.]

9. Lxf6 exf6
eine folgerichtige Reaktion.
(Nach 9... Sxf6 könnte Weiß sich mit Dd2, Sa3 und 0-0-0 aufstellen. Er hätte dann zuverlässig die Züge b7-b5 (er überdeckt dieses Feld bereits viermal!) und e7-e6 (wegen dem direkten Druck auf den Bauern d6) verhindert. Weiß könnte dann zu einem Königsangriff mit g2-g4 und h2-h4 übergehen - da Schwarz mit dem Lg7 den wichtigsten Verteidiger auf dieser Seite abgetauscht hat.)

10. Dd2
verhindert den Zug Sf4.

10... f5
Sonst hat Schwarz nach g2-g4 keinerlei Gegenspiel, da f6-f5 g4xf5 g6xf5 nur den schwarzen König schwächt.

11. exf5 Lxf5 12. g4
Konkret und stark gespielt.

12... Te8+ 13. Kd1
noch ein starker Zug. Da der schwarze Läufer sich ohnehin auf b1 tauschen muss, um Figurenverlust zu vermeiden, bekommt der König auf c2 ein sicheres Feld.

13... Lxb1 14. Txb1
Bis hierhin haben beide Spieler sehr originell gespielt. Weiß steht für meinen Geschmack etwas besser, da wesentlich klarer zu sehen ist, wie er seine Stellung verstärken kann (Ld3, Kc2, a3, h4 usw.). Dafür ist aber entscheidend, dass Df6 die Partie einstellt. Mein erster Gedanke war, dass Gelfand übermütig geworden ist, da er vor der Partie in Führung lag und bisher kaum Probleme hatte, ähnlich Aronian, der in seinem Match gegen Kramnik nach starkem Beginn mehrmals seine Stellung überschätzte. Letzten Endes scheint es sich aber bei Gelfand lediglich um einen Rechenfehler gehandelt zu haben. Wie Gelfand auf der Pressekonferenz erklärte, hatte er hier nicht das Gefühl, besser zu stehen.

15. gxh5
Das Problem. Weiß ignoriert die Drohung, da sich die schwarze Dame nur unter Materialverlust von h1 befreien kann. Auf der Pressekonferenz sagte Gelfand auch, dass er hier mit 15. Kc2 Sf4 16. Se4 gerechnet hatte, worauf er die Qualität opfern wollte. Es ist eigentlich schade, dass wir die Stellung nach Txe4 17. fxe4 nicht zu sehen bekommen haben:
[15. Kc2 Sf4 16. Se4 Txe4 17. fxe4 Sd7 (17... g5 ist prinzipiell richtig, aber konkret schlecht. 18. h4 h6 {18... gxh4 19. g5 Dxg5 20. Ld3 De5 21. Txh4} 19. hxg5 hxg5 {Nach 19... Dxg5 20. Le2 ist das gesamte schwarze Konzept ad absurdum geführt. Der Springer wird von f4 vertrieben und Weiß steht auf Gewinn.} 20. Dh2 Sg6 {20... Sd7 21. Dh7+ Kf8 22. Dh8+} 21. Ld3 Sd7 22. Tbf1 und die schwarze Dame ist überlastet.) 18. h4 h6 und erst im folgenden g6-g5 mit gutem Spiel auf den schwarzen Feldern. Vermutlich hätten wir eine sehr lehrreiche Partie zum Thema positionelles Qualitätsopfer gesehen. Der tatsächliche Partieverlauf taugt leider nur als Aufwärmübung beim Taktiktraining.]

15... Dxf3+ 16. Kc2 Dxh1 17. Df2
und hier gab Gelfand bereits auf! Die Dame hat im Moment kein Fluchtfeld und Weiß gewinnt nach Ld3 oder e2 Material.
[17... Sa6 18. a3 ändert nichts an der schwarzen Lage. (Auch 18. Ld3 Sb4+ 19. Kd2 Sxd3 20. Kxd3 ist möglich.)] [Wie Niclas Huschenbeth in seinem Blog bemerkt, hätte Schwarz noch 17... Sc6 versuchen können. Es droht Sd4+, was der Dame das Fluchtfeld f3 verschafft. Nach 18. dxc6 Dxc6 muss Weiß bereits eine Entscheidung treffen: 19. Ld3 ist besser. (Nach 19. Lg2 Dd7 20. Ld5 {20. Sd5 Da4+ 21. b3 Dxa2+ 22. Tb2 Da1 23. Sf6+ Kh8 (23... Kg7 24. h6+ Kxh6 25. Ld5 De1 26. Sg8+) 24. Sxe8 (24. hxg6 Te1) 24... Txe8 25. hxg6 hxg6 26. Lxb7 Te1 27. Dd2 a5} 20... Te5 21. hxg6 hxg6 22. Se4) 19... Te5 20. Tf1 wird Weiß wohl gewinnen. Jedoch hätte Gelfand in einer solchen Stellung vermutlich nicht aufgegeben, wenn er nicht zuvor einen großen Lapsus begangen hätte.]

In Bezug auf das gesamte Match wird jetzt entscheidend sein, welche Auswirkung diese Partie auf Gelfands Sebstvertrauen haben wird. Im Prinzip ist noch nicht viel passiert: Der Wettkampf steht ausgeglichen und bisher haben beide Spieler Schach auf hohem Niveau präsentiert. Ein solch schwerer Einsteller ist natürlich trotzdem schwer zu verdauen. Wir können gespannt sein, ob ein Ruhetag und eine anschließende Weißpartie genügen, um Gelfand in Balance zu halten.
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